Digitale Werkzeuge für die Zusammenarbeit von Vereinen und Organisationen

Interview mit Vivian Frick und Carsten Knoll von Bits und Bäume

In Zeiten von social distancing müssen Projekte und Vereine neue Herausforderungen bewältigen. Kontakte, Absprachen und Veranstaltungen werden zunehmend digital durchgeführt. Wir haben die Expert*innen von Bits & Bäume interviewt, die euch Tipps und Ratschläge geben, welche Tools geeignet sind, worauf ihr bei der digitalen Arbeit achten müsst und wer euch bei Fragen weiterhelfen kann.

1.) Viele Organisationen und Projektteams stehen angesichts der Kontakteinschränkungen jetzt vor der Herausforderung, ihre Teambesprechungen, das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten oder das Durchführen von Workshops anders, nämlich digital zu organisieren. Es gibt eine Fülle von Tools und Software. Wie soll man sich da zurechtfinden und worauf kommt es bei der Auswahl der passenden Tools an?

Bei der Menge an Angeboten ist es ziemlich normal, erst einmal den Überblick verlieren. Das Internet und die Softwarewelt verändern sich schnell und selbst Expert*innen haben nicht immer alle relevanten Neuerungen präsent. Wichtig ist bei der Auswahl der passenden Software die Bereitschaft, dazuzulernen und neue Erfahrungen zu machen – und ein wenig Geduld.

Die wichtigsten Kriterien sind aus unserer Sicht Datenschutz, Dezentralität und Open-Source-Technologie. Ob die Stabilität und die Benutzbarkeit eines Tools für eine Gruppe passen, kommt auf die Erwartungen und Bedürfnisse an. Beim Auswählen kann ein bisschen Experimentierfreudigkeit helfen. Gut ist es auch, einen Plan B in der Hinterhand zu haben, wenn z.B. ein Dienst mal vorübergehend nicht erreichbar ist.

Für einen besseren Überblick haben engagierte Menschen dazu Informationen online zusammengetragen. Beispielsweise die Bits-und-Bäume-Bewegung oder Digitalcourage e.V. oder Infra4Future. Weitere (zum Teil überlappende) Tipps finden sich in persönlichen Blogs wie z.B. arnarc.at.

2.) Welche Tools könnt ihr für bestimmte Anwendungen empfehlen und warum: 

Grundsätzlich sollte man zwischen der Anwendung (Tool) und der Instanz (also dem Server) unterscheiden. Bei kommerzieller Software wird dieser Unterschied selten sichtbar, denn Google-Software läuft ohnehin auf Google-Servern. Bei freier Software kann jedoch jeder Mensch die Software nutzen und damit eine eigene Instanz im Netz anbieten. Diese Dezentralität ist grundsätzlich gut, weil sie Monopole verhindert. Bei der Wahl eines dezentralen Angebots ist es wichtig, der Betreiber*in des Servers zu vertrauen. Zudem ist zu beachten, dass auftretende Probleme oft nicht an der Software liegen, sondern zum Beispiel an einem temporär überlasteten Server.

Videokonferenzen

Für kleinere Konferenzen lässt sich die Freie Software „jitsi“ nutzen, das von vielen Organisationen angeboten wird (Übersicht). So läuft zum Beispiel Fairmeeting mit jitsi-Software.  

Für größere Konferenzen (10 bis 100 Menschen) bietet sich die Freie Software „Big Blue Button“ (BBB) an. BBB braucht mehr Serverkapazität und ist damit teurer. Deshalb gibt es weniger Instanzen, die frei für die allgemeine Nutzung zugänglich sind. Das Bits-und-Bäume-Forum beispielsweise findet gehostet von der Genossenschaft Hostsharing mit der Software statt. Aber auch andere Gruppen (siehe letzte Frage) stellen ihre Instanzen auf Anfrage gerne zur Verfügung.

kollaboratives Arbeiten und Abbilden von Arbeitsständen

Für das gemeinsame Arbeiten an Texten sind „Pads“ eine super Erfindung (z.B. cryptopad.fr). Dabei können viele Menschen gleichzeitig einen Text bearbeiten und sehen in Echtzeit, was andere schreiben. Das eignet sich hervorragend, um während eines Online-Plenums gemeinsam Protokoll zu führen. Der im Pad integrierte Chat kann genutzt werden, um die bewährten Diskussionshandzeichen nachzubilden (z.B. „#“ für Redewunsch, „##“:  direkt dazu, „+“: Zustimmung) und damit (in Verbindung mit einer/m Moderator*in) sehr konstruktive Besprechungen zu erhalten.

Konkret zum Abbilden von Arbeitsständen bietet sich das Kanban-Prinzip an, welches durch kommerziellen Dienst „Trello“ bekannt geworden ist. Freie Lösungen sind „kanboard“ oder das Kanban-Plugin von Nextcloud. Komplett offene Instanzen zu betreiben, ist dabei schwierig, weil es viel Aufwand und Kosten verursacht. Bei Bedarf können aber lokale Gruppen oft weiterhelfen, siehe letzte Frage.

digitale Durchführung von Workshops & Konferenzen

Hierfür ist das bereits genannte Big Blue Button, was explizit für den Bildungsbereich entwickelt wurde, ziemlich gut, ggf. unterstützt durch weitere Tools wie Nextcloud zur Datei-Ablage.

Generell ist es immer sinnvoll, die Tools und Dienste alleine und ggf. auch in der Gruppe zu testen bevor sie eine wichtige Rolle bekommen. Darüber hinaus sollten Organisator*innen solcher Veranstaltungen unbedingt technischen Support für die Teilnehmenden anbieten.

3.) Viele Nutzer*innen legen großen Wert auf Datenschutz, wollen oder müssen aber gleichzeitig kostenlose Angebote nutzen. Ist das denn vereinbar? 

Während wir für diverse Dienstleistungen ganz selbstverständlich Geld bezahlen, sind wir es nicht gewohnt, für digitale Dienstleistungen (monetär) zu bezahlen. Überwiegend sind diese Dienste jedoch nicht kostenlos. Digitale Dienstleistungen (wie z.B. Social Media) werden von Firmen angeboten, die profitorientiert wirtschaften. Nutzer*innen bezahlen daher mit ihren Daten und weitere Firmen können personalisierte Werbung auf den Plattformen schalten. Vorfälle wie Wahlbeeinflussungen durch Cambridge Analytica zeigen, wie problematisch solche digitalen Geschäftsmodelle sein können. Sie schaffen für digitale Unternehmen Anreize, die Daten ihrer Kund*innen zu missbrauchen.

Möglichkeiten Datenschutz zu fördern

Es gibt mehrere Möglichkeiten, um dieses Problem zu lösen: 1.) Wir können beispielsweise Commons-basierte Plattformen aufbauen. 2.) Wir können individuell Software und Applikationen nutzen, die dezentral sind und auf Freier und quelloffener Software beruhen, uns an der Entwicklung (z.B. in Form von Übersetzungen) beteiligen oder Geld an die Projekte spenden. 3.) Und wir können uns für andere Rahmenbedingungen einsetzen, die das problematische Datensammeln und die massenweise Beeinflussung von Verhalten nach kommerziellen Interessen unterbinden (Stichwort: „Überwachungskapitalismus“) und die stattdessen Nachhaltigkeit und Selbstbestimmung fördern. Genau das versucht u.a. die Bits-und-Bäume-Bewegung mit ihren Forderungen.

Digitale Dienstleistungen haben ihren Preis

Oder wir können uns angewöhnen, auch im digitalen Raum für Dienstleistungen zu bezahlen. Grundsätzlich sollten wir anerkennen, dass auch digitale Dienstleistungen ihren Preis haben. Transparent mit Geld zu bezahlen, statt mit Daten, kann missbräuchlichen und kommerziellen Datenumgang verhindern. Gute Beispiele dafür sind posteo.de und mailbox.org – E-Mail-Anbieter, die Datenschutz ernst nehmen und ihre Server mit grünem Strom betreiben. Auch zur nachhaltigen Finanzierung von Freier Software gibt es Überlegungen (https://publiccode.eu/ oder  https://wiki.fsfw-dresden.de/doku.php/doku/funding-foss), aber das ist ein dickes Brett.

4.) Selber hosten ist meist mit einem großen Technikverständnis und Aufwand verbunden. Nicht jeder kann einen eigenen Sever betreiben. Wo finden Initiativen Angebote oder Plattformen mit möglichst kostenlosen Angeboten, die den Anforderungen an Datenschutz (Bedienbarkeit etc.) entsprechen. 

Für das Bits-und-Bäume-Forum konnten wir mit Hostsharing Partner finden, die für Videokonferenzen den Server betreiben und technische Details übernehmen. Für die Organisation der Bits-und-Bäume-Konferenz wiederum wurde Nextcloud genutzt. In vielen Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen des sozial-ökologischen Wandels nutzen wir darüber hinaus die wechange-Plattform. Diese kombiniert viele praktische Werkzeuge für die Zusammenarbeit, wie eine Dokumentenablage, Pads, Kalender und Chats.

5.) Von welchen Tools würdet ihr eher abraten?

Aktuell wird die Telekonferenzplattform Zoom sehr häufig verwendet. Datenschutz und Datensicherheit sind dabei aber unzureichend gewährleistet. Wenn möglich sollte stattdessen BBB oder jitsi eingesetzt werden, Slack z.B. lässt sich durch mattermost ersetzen.

Datensicherheit vs. Bequemlichkeit

Die GAFAM-Konzerne (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) zu umgehen, ist nicht immer einfach. Gerade google lässt sich kaum vom Android-Smartphone verdrängen. Aber auch einfache Schritte zu mehr Autonomität und Datensicherheit scheitern oft an Bequemlichkeit. Eigentlich ist es rational gesehen kaum mehr Aufwand, beispielsweise auf dem Smartphone zumindest zusätzlich auch Signal, Telegram oder Threema für Chats und Einzeltelefonie, oder auch jitsi für Videokonferenzen zu installieren. Es zeigt sich jedoch immer wieder, gerade beim Thema Whatsapp oder Skype: Menschen sind Gewohnheitstieren, und einmal bei einer Plattform angekommen, hängen sie da gerne fest. 

Datenschutz als Aufgabe der Politik

Trotzdem ist Datenschutz ungemein wichtig. Das Digital Detox Kit des Tactical Tech Collective kann helfen, individuell Verantwortung zu nehmen. Gleichzeitig kann es jedoch nicht Aufgabe des Individuums sein, Datenschutz zu gewährleisten, vielmehr müssen sich hier Politik und Unternehmen verstärkt einsetzen. Dies betonen wir ebenfalls in den Bits-und-Bäume-Forderungen.

6.) Wohin können sich Organisationen und Projekte wenden, wenn sie Beratung oder ganz praktische Hilfe beim Einrichten der Tools brauchen?

Die lokale Bits-und-Bäume-Gruppe Dresden wäre ein guter erster Anlaufpunkt, weil Vernetzung rund um nachhaltige Digitalisierung eines unserer Hauptziele ist. Wir planen zurzeit auch, eine regelmäßige digitale Sprechstunde für IT-Fragen der Zivilgesellschaft anzubieten. Der C3D2, das Datenkollektiv und die FSFW sind weitere lokale Gruppen mit konkretem IT-Fokus. Aber auch in der tuuwi, bei FFF, bei sukuma und vielen weiteren Gruppen gibt es Menschen mit Interesse und Ahnung. Die Motivation ist groß – knapp könnte manchmal die Zeit sein. Diese Gruppen können auf jeden Fall helfen, wenn es um Zugang zu dezentralen Diensten wie BigBlueButton geht.

 

Über Vivian Frick

© privat

Die Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ untersucht die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung und erforscht Wege, wie Digitalisierung  nachhaltig gestaltet werden kann. Vivian Frick ist Umwelt- und Sozialpsychologin in der Forschungsgruppe, und Mitherausgeberin des Buchs zur Bits und Bäume Konferenz 2018, „Was Bits und Bäume verbindet“.

Über Carsten Knoll

© Carsten Knoll

Die Ursprünge für den lokalen Bits-und-Bäume-Zweig Dresden gehen auf die gemeinsame Zugheimfahrt von der Konferenz zurück, auf der die Idee entstand, das Thema nachhaltige Digitalisierung auf die lokale Ebene herunterzuholen. Carsten Knoll ist eine der Gründungspersonen dieser Gruppe. Hauptberuflich befasst er sich am Institut für Regelungs- und Steuerungstheorie der TU Dresden u.a. mit Nichtlinearer Dynamik und Wissensrepräsentation. 

 

Bits und Bäume

© Bits und Bäume

Die Bewegung für Digitalisierung und Nachhaltigkeit, entstanden in Berlin auf der B&B-Konferenz 2018. Knapp 2.000 Menschen zog die „Bits­&­Bäume“ im November 2018 an die Technische Universität Berlin. Digitalisierung und Nachhaltigkeit als zwei wesentliche aktuelle Herausforderungen unserer Gesellschaft müssen endlich gemeinsam diskutiert werden. Die „Bits & Bäume“ hat vielfältig Akteure zusammengebracht, vor allem aus der Tech Szene und der Nachhaltigkeitsbewegung, aber auch aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Verschiedene Akteure müssen gleichberechtigt und demokratisch daran teilhaben. Denn wie die Digitalisierung politisch gestaltet wird, darf nicht vordergründig von wirtschaftlichen Erwägungen abhängen.